Burg erkunden, Kirchen besichtigen, die schöne Aussicht genießen oder lecker essen? Das haben wir alles schon gemacht. Also auf zur nächsten thematischen Stadtführung.
Stadtbesichtungung
Diesmal führte uns Jónas, der ursprünglich aus Island stammt, durch die Straßen Tallinns, um uns das Tallinn unter sowjetischer Herrschaft nahezubringen.
Die erste Station war das Theater, das entgegen aller Erwartung sehr prunkvoll gestaltet war. Stalin ließ es zu Propagandazwecken erbauen.
Weiter ging es an der Seite des Gebäudes, an der bildlich sowjetische Tugenden (Landwirtschaft, Industrie, etc.) dargestellt wurden. Darunter fiel auch die Fischerei. Hier erklärte uns Jónas, dass Estland keine Fisch-Nation ist. Fisch gilt als Arme-Leute-Essen und ist daher nicht so populär.
Die Aufteilung der Wohnungen war immer gleich. Es gab das Interieur entweder in braun oder in dunkelbraun, das war die Wahl, die man tätigen konnte. Ansonsten waren alle Wohnungen innen und auch außen, nämlich eine Wohnblock neben dem anderen, sehr ähnlich.
Für die olympischen Spiele im Jahre 1980 war Tallinn Co-Austragungsort, da Moskau nicht am Meer liegt und die Segel-Wettbewerbe irgendwo stattfinden mussten. Die Stadt war vorbereitet: es gab das Maskottchen Mischa (russisch Миша) oder auch Mischka (russisch Мишка), das einen kleinen Bären darstellt, in allen Variationen. Man erwartete viele Touristen.
Da die Sowjetunion jedoch kurz zuvor in Afghanistan einmarschierte, wurden die olympischen Spiele von vielen Westnationen boykottiert – in der Tat gab es sogar zwei Boykotts, da auch innerhalb Russlands Tallinn als besetztes Staatsgebiet von vielen russischen Sportlern boykottiert wurde. Die Stadt Tallinn blieb auf den Merchendise-Artikeln sitzen. Heute kann man sie in einer Antik-Halle zum Schnäppchenpreis erwerben.
Wie schon am Vortag wurde der baltische Weg thematisiert: eine 650 km lange Menschenkette, die durch Estland, Lettland und Litauen führte, um sich singend von der Sowjetunion zu befreien.
Vier Ingenieure verbarrikadierten sich im Fernsehturm, worum sich ebenfalls Menschenketten bildeten. Russische Panzer standen vor dem Radio, dem Parlament und dem Fernsehturm. Ein Demonstrant brachte einen Fernseher an und deutete an, dass sich die Russen lieber um das kümmern sollten, was in Moskau passierte, als Tallinn zu belagern. Aufgrund des friedlichen Protests zogen die Truppen ab. Man war sehr unsicher, was passiert war. Nämlich das Unerwartete: kein Angriff, sondern ein Abrücken der Truppen.
(Meine geschichtlichen Einspieler sind nicht wissenschaftlich fundiert, sondern nur das, was ich auf Exkursionen verstanden habe.)
Unsere Tour endete an vielen langsam verrottenden Stufen. Sie sind ursprünglich für die olympischen Spiele errichtet worden, haben heute allerdings nur die Funktion, zu einer Aussichtsplattform zu führen.
Nach der Tour besuchten wir noch die große Trödelhalle Balti Jaama Turg. Hier findet man unten einen Supermarkt, im Ergeschoss Food-Stände und oben eine riesige Halle mit Antiquitäten und Tinnef aus der Sowjetzeit. Draußen speisten wir dann bei einem Stand aus Usbekistan. Sehr köstlich. Zum Nachtisch gab es einen schmackhaften Kakao bei Anneli Viik sowie Wegzehrung aus dem Kalev-Schokoladen-Geschäft (hier gibt es Tallinner Schokolade).