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Januar 15, 2020

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Morgens ist der Blick über den Baikalsee am schönsten. Von unserem Fenster kann man die Berge am gegenüberliegenden Ufer sehen und die Sonne strahlt auf die schneebedeckten Eisschollen auf dem See. Heute wollten wir von unserem Hotel in den Ort Sljudjanka über den See laufen.

Spaziergang auf dem Baikalsee

Um sicher zu gehen, dass das Eis auch dick genug ist, fragten wir unseren Gastgeber Maksim, was er von einem Fußmarsch über den Baikalsee hält. Er meinte, dass es wohl dick genug wäre, er würde aber erst in der folgenden Woche darauf laufen.

Mutig suchten wir uns unseren Weg auf das Eis. Es machte einen sicheren Eindruck. Über den See ist der Weg deutlich kürzer, ich denke, dass es wohl 2,5 km sind.

Um uns herum gab es nur wenige Fußspuren. Eine Spur war die eines Menschen mit einem Hund, dann wird wohl alles sicher sein.

Loch im Baikalsee
Loch im Baikalsee

Plötzlich knackte und knallte es um uns herum. Wir brechen doch nicht in den See ein? Etwas schneller setzten wir den Weg fort und fühlten uns kurze Zeit später schon wieder sicher. Doch dann entdeckten wir am Ufer Wasser, das in den See fließt und kein bisschen gefroren war. Ohje! Wir beschlossen, an Land zu gehen, was sich auch als machbar erwies. Über große Steine kamen wir auf einen kleinen Weg, doch den kleinen Fluss mussten wir balancierend überqueren. Darauf wurde der Trampelpfad breiter und man sah Reifenspuren. War das der Weg, den wir vor zwei Tagen hätten nehmen müssen? Nach etwa 300 m erreichten wir ein verschlossenes Tor. Und jetzt? Entweder zurück mit dem Hindernis des Bachs oder erneut auf den Baikalsee weiter in Richtung Sljudjanka. Wir wollten weiter, also kraxelten wir die Steine herunter und kamen kurze Zeit später im Dorf an. 

Bahnhofs-Café in Sljudjanka

Am Bahnhof kehrten wir in ein Café ein, weil wir mittlerweile doch etwas verfroren waren. Bei der Bestellung wollte uns wieder ein Gast helfen. Es stellte sich heraus, dass die beiden Gäste Austausch-Studenden aus Deutschland waren, die in St. Petersburg ein Auslandssemester absolvieren. Schnell kamen wir ins Gespräch. Interessant war, dass etwa zwei Drittel der Austauschstudenten Chinesen sind.

Wir erkundeten noch ein wenig den Ort. Es scheint als wenn im Stadtkern täglich eine Art Markt ist. Draußen werden Schuhe, Socken, Taschen etc. auf Tischen zum Verkauf angeboten.
In einem keinen Einkaufszentrum kauften wir schon mal für unsere Reise nach Ulan Bator ein.

KFC Sljudjanka
KFC Sljudjanka

Einen Kaffee tranken wir bei KFC (King Food Sljudjanka), das nichts mit der Fastfoodkette zu tun hat.
Einen Bus für die Rückfahrt bekamen wir wieder nicht. Die Taxi-App war noch nicht aktiviert, so dass wir uns wieder an Einheimische wenden mussten. Die organisierten uns ein Taxi und quatschten permanent mit uns, ohne dass wir etwas verstehen konnten. Die Übersetzungs-App half uns.

Das Taxi brachte uns sicher zurück zum Hotel. Dort gab mir Maksim den Schlüssel für den Waschraum und ich konnte wieder mal Wäsche waschen.

Wo ließen wir wohl den Abend ausklingen? Genau, wieder in der Goldenen Jurte (lach). Die CD kennen wir mittlerweile auswendig. Zum Glück waren wir heute die einzigen Gäste.

Russland verstehen? Nein, das geht nicht. Zu weit ist das Land, zu lang ist die Geschichte, zu verschieden sind die Menschen. Doch literarisch kann man sich dem Land annähern und ein Verständnis für die Gegebenheiten und die Schicksale der Menschen entwickeln.
Wo fängt Russland an und wann ist Geschichte interessant? Meine Auswahl entwickelte sich aus Autoren, die ich bereits kannte (u.a. aus dem Studium), Reiseliteratur und auch in den Medien diskutierte Autoren.
Die folgende Übersicht in nur ein Beginn meiner Lektüre und wird sicher noch in den nächsten Monaten und Jahren ergänzt. Natürlich freue ich mich auf weitere Vorschläge und bin für Diskussionen offen.
Werke, die rund um die transsibirische Eisenbahn spielen, habe ich in einem separaten Artikel thematisiert.

Russland:

  •  Tom Rob Smith: Agent 6 (2011)
    Agent 6 ist der letzte Teil der Trilogie nach Kind 44 und Kolyma, kann aber unabhängig von den beiden Werken gelesen werden. Die Politthriller sind gefüllt von politischen Ereignissen und lassen den Leser schnell in die Geschichte Russlands eintauchen.
    Der MGB-Offizier Leo Demidow soll den Kommunisten Jesse Austin, einen dunkelhäutigen Sänger aus Amerika das sowjetische Bildungssystem in geschönter Form darstellen. Hier lernt der 27jährige seine Frau Raisa kennen.
    Jahre später reist die Lehrerin Raisa mit ihren beiden adoptierten Töchtern Soja und Elena nach New York, um am Programm Schüler für den Frieden in Zeiten des Kalten Krieges teilzunehmen.
    Während des Auftritts wird Jesse Austin erschossen und Raisa und ihre Töchter geraten zwischen die Fronten. Lügen und Intrigen sorgen dafür, dass Raisa, die ebenfalls durch einen Schuss stirbt, als Hauptschuldige in der Sache angesehen wird.
    Leo Demidow versucht der Sache nachzugehen im Glauben an die Unschuld seiner Frau, wird jedoch durch eine misslungene Flucht über Finnland nach Afghanistan versetzt.
    Hier erlebt er Sowjetische Interventition in Afghanistan und will doch nur noch zurück zu seinen Töchtern.
    Die Romane von Tom Rob Smith zeigen die unschönen Situationen des Lebens. Der Leser lernt verschiedene Perspektiven von Tätern, Opfern und den Menschen dazwischen kennen und kann sich in jede Person einfühlen. So kann man auch das Handeln Menschen, die anderen Leid zugefügt haben, nachvollziehen und teilweise Mitleid mit diesen empfinden.
    Der Autor zeigt politische Strukturen in Russland auf und hilft den Durchreisenden Geschichte nachvollziehbar zu machen und die Menschen zu verstehen. Niemand ist wirklich frei von Geschichte.
  • Stefan Orth: Coachsurfing in Russland
    Dies ist ein Buch, das man vor einer Russland-Reise lesen kann und einen persönlichen Blick des Autors und Journalisten Stefan Orth auf das Land und seine Besonderheiten bekommt.
    Zehn Wochen durchstreift Orth Städte zwischen Moskau und Wladiwostok (die Strecke, die wir mit der Transsib zurücklegten) und trifft dort immer wieder auf Menschen und ihre Geschichten. Durch www.couchsurfing.com findet er immer wieder einen Platz zum Schlafen und setzt sich hier mit seinen Vorurteilen auseinander, die er teils bestätigt findet, jedoch auch reflektieren muss.
    Fotos in der Mitte des Buches bilden teilweise die Personen und auch Orte, an denen er schlafen musste (Matratze direkt neben der Toilette im Bad) ab.
  • Eva Stachniak: Winterpalast (2012, Hörbuch)
    Die junge Waise Varvara kommt als Dienstmädchen in den Winterpalast und lernt, dass Ohren und Augen überall sind. Sie wird zu einer der wichtigsten Spioninnen des Palastes. Als die junge Sophie von Anhalt-Zerbst – die spätere Katharina die Große – an den Hof kommt und auf dem Weg zur Macht eine Verbündete braucht, wird Varvara ihre engste Vertraute. Die Freundschaft der beiden Frauen ist vielen eine Dorn im Auge und wird durch politische Intrigen eingeschränkt. Schließlich erklimmt Katharina den Zarenthron, wodurch sie eine der mächtigsten Frauen ihrer Zeit wird.
    Der „Winterpalast“ zeigt, wie Politik funktioniert und welche Machr der russische Zarenhof einst über die Menschen besaß. Der Wandel der Persönlichkeiten ist empathisch dargestellt.

Georgien:

  • Nino Haratischwili: Brilka, das achte Leben (2014)
    Ein Roman eingebettet in die Geschichte Georgiens? Nicht erwartet habe ich eine solche Wucht bei der Auswahl dieses Romans. Das Familien-Epos hat einen bleibenden positiven Eindruck hinterlassen, so dass ich dies uneingeschränkt an Menschen mit geschichtlichem Interesse weiterempfehlen kann.
    Stasia, Christine, Kitty, Kostja, Elene, Daria, Niza, Brilka. Acht Leben, acht Biographien, die ineinander verwoben sind wie ein Teppich. Jedes Leben ein Faden, der den Fortbestand des Teppichs sichert.
    Nino Haratschwili erzählt die Geschichte einer Familie über sechs Generationen beginnend mit der Geburt der Tochter Stasia des angesehenen Schokoladenfabrikanten in Georgien im Jahr 1900. Der Leser taucht in die Geschichte eines Landes ein, das ständig von Kriegen und Revolutionen erschüttert und von Not bedroht wird. Der rote Faden ist das Rezept der Trinkschokolade, deren verführerischer Geschmack und Duft von einem Segen und Fluch zugleich verfolgt zu sein scheint und deshalb nur ausgewählten Familienmitgliedern zugänglich ist. Die Familie wird auseinander gerissen durch verschiedene gesellschaftliche Positionen und Ideologien, Verrat, falsche Freunde, Politik unter Stalin und den Machenschaften des Geheimdienstlers Lawrenti Beria, der hier stets nur als der „Kleine Große Mann“ betitelt wird. Menschen verschwinden, die Sehnsucht nach Rückhalt in der Familie und der Glaube an die Liebe in diesen schweren Zeiten wird von politischen Ereignissen überschattet. Jeder erlebt eine Form von Gewalt, die das Leben zeichnet.
    Eingebettet ist die Geschichte in die Suche nach der verschwundenen Nichte Brilka im Jahr 2006, die von ihrer Tante Niza aufgespürt und zurück nach Tiflis (Tbilissi) begleitet werden soll.

    Der Roman umfasst in der gedruckten Version über 1000 Seiten, weshalb ich froh war, ihn auf dem Tolino zu lesen. Ein Familienstammbaum befindet sich in der gedruckten Version, in dem Epub-Format fehlte dieser leider, so dass ich mir selbst einen erstellte. Es empfiehlt sich unbedingt vorher den Artikel über Lawrenti Beria zu lesen, denn so wird vieles aus der Geschichte Georgiens und auch Russlands klarer.